2010 war Andreas Biermann im Sportstudio zu Gast und sprach offen über seine Krankheit
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In dem weitläufigen Lokal sind, dem Wetter angemessen, nur wenige Tische belegt, aus den Boxen an der Decke schallt dem Gast Formatradio-Musik entegegen. Nach einem kurzen aber intensiven Dialog zum Thema "Berliner Fußballklubs" legt der Journalist das Aufnahmegerät auf den Tisch, zitiert eine Passage aus dem Buch und formuliert die erste Frage, als ihn Andreas Biermann unterbricht und sagt, er fände es angenehmer, wenn man ihn duzte. "Ich bin der Andi."Der Reporter könnte behaupten, er wisse beinahe alles über Andreas Biermann, schließlich hat er das Buch gelesen, die Pressemitteilungen, sämtliche Interviews und sich zudem mit ehemaligen Weggefährten unterhalten. Recherche pur sozusagen. Dennoch merkt er schnell: Die Zettel, auf denen wunderbar ausformulierte und vermeintlich kenntnissreiche Fragen stehen, sollten schleunigst wieder in der Tasche verschwinden."Ich war tatsächlich so naiv""Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt", sagt Biermann, während er seinen Finger auf dem Glas kreisen lässt. "Ich war tatsächlich so naiv zu glauben, ich könne nach dem ganzen Brimborium wieder Fußball spielen." Biermann lacht erneut. Er fühle sich gebrandmarkt, ausgeschlossen, irgendwie abgeschrieben. Zwar habe er gewusst, dass das Profigeschäft hart sei, doch derart hart? Pause. "Wer krank ist, fliegt raus - und soll gefälligst nicht wiederkommen".Dass sein Vertrag beim FC St. Pauli 2010 nicht verlängert wurde und zu jener Zeit sämtliche Klubs abwinkten, zehrt offenbar noch immer an dem Vollblut-Fußballer. "Wie soll ich betroffenen Sportlern heute Mut machen, wenn ebenjene sehen, was mit mir damals passiert ist?" Es ist der einzige Moment in dem zweistündigen Gespräch, in dem er schneller spricht und in seinen Worten Wut zu spüren ist. Immer wieder fallen die Namen einiger DFB-Funktionäre, immer wieder das Wort "Sonntagsreden". Zugleich betont Biermann allerdings, er mache niemandem einen Vorwurf. "Ich bin zunächst einmal für alles selbst verantwortlich", sagt er, während aus den Boxen ein Basslauf dröhnt, auf den Lady Gaga schreit: "Don't hide yourself in regret - Just love yourself and you're set - I'm on the right track, baby - I was born this way."Morgens und abends TablettenWie lebt Biermann heute mit jener Volkskrankheit, die laut Weltgesundheitsorganisation bis zum Jahr 2020 die weltweit zweithäufigste sein wird? Er sei froh darüber, dass er mittlerweile wisse, was mit ihm los ist. "Ich bin nicht geheilt, sondern nehme morgens und abends meine Tabletten." Antidepressiva, die die Botenstoffe im Gehirn beeinflussen und somit den Alltag der Betroffenen erträglicher und zugleich weniger gefährlich machen. Außerdem geht Andreas Biermann regelmäßig zur Gesprächstherapie. "Das wird wahrscheinlich immer so bleiben, womit ich kein Problem habe, denn solange ich stabil bleibe, ist alles okay."